Countdown

Posted on by nek0 in deutsch, writing

Ich habe in den letzten Tagen es ieder geschafft eine Kurzgeschichte zu schreiben. Diesmal auch tatsächlich auf Deutsch.

Zehn

Ich haste durch die Bahnhofshalle und verzweifelt halte ich Ausschau nach einem freien Fahrkartenautomaten. Hinter mir zerre ich meine beiden schweren Koffer her, in einem meine Kleidung und Reiseutensilien, in dem anderen das Paket. Vor allen anderen Automaten stehen Menschen, zumeist Touristen, in langen Schlangen an. Viel Zeit bleibt mir nicht mehr. Ich hätte gerne mehr Vorbereitung gehabt, aber der Anruf meiner Mutter kam überraschend. Ich verlasse die Bahnhofshalle und begebe mich in die verschlungenen Gänge des Bahnhofs. Erst als ich an den Schränken der Gepäckaufbewahrung vorüber gehe, sehe ich in einer dunklen Ecke einen einsamen Fahrkartenautomaten stehen. Die Ecke ist dunkel, die Leuchtstoffröhre, die für Licht sorgen sollte, flackert nur in unregelmäßigen Abständen mal auf und der Automat ist mit diversen Lackstiften und Permanentmarkern verunstaltet worden, sodass ich mich eigentlich nicht traue ihn zu bedienen, aber eine kurze Erinnerung an die übervolle Bahnhofshalle lässt mein Zögern dahinschmelzen. Derjenige, der den Fahrkartenautomaten verunstaltet hatte, muss wohl ein ziemlicher Kartenspiel-Narr gewesen sein, denn überall auf dem Automaten sind Spielkarten aufgemalt, doch alle sind sie von der Farbe Pik. Ich bin gerade dabei an dem verkrusteten Automaten meine Fahrkarte zu Ziehen, da krächzt eine weibliche Stimme aus dem schief hängenden Lautsprecher.
“Der IC nach Berlin fährt heute außerplanmäßig von Gleis Neun.”

Flehentlich schaue ich auf das glimmende Licht des Ausgabeschachtes am Automaten, dass er doch endlich meine Fahrkarte ausspucken möge. Ich muss zum Gleis 9, am anderen Ende des Bahnhofs, und habe nur noch wenig Zeit. Innerlich verfluche ich mich selbst, dass ich mich in die Machenschaften meiner Mutter habe mit hineinziehen lassen. Ich weiß noch nicht mal, was ich in meinem Koffer habe, aber ich weiß, dass es die Polizei auch nicht wissen sollte. Endlich flattert die Fahrkarte auf den Boden des Ausgabeschachtes. Ohne zu zögern greife ich danach und verlasse die unheimliche Ecke des Bahnhofs, noch bevor mir der Automat eine gute Reise wünschen kann. Ich haste durch den langen Gang unterhalb der Gleise und durch die Bahnhofshalle, bis ich mein Gleis erreiche. Ohne zu zögern springe ich in den Zug und kurz nachdem sich die Türen hinter mir schließen, geht ein Ruck durch den Wagen und langsam setzt er sich in Bewegung. Langsam manövriere ich mich im Zug vorwärts um an einen Sitzplatz zu kommen, aber sobald ich in das Innere des Wagens trete, zerfallen meine Hoffnungen. Alle Sitzplätze sind besetzt und im Gang stehen schon Leute, die, wie ich, keinen Sitzplatz gefunden haben. Umständlich drehe ich mich mit meinem schweren Gepäck um, wobei ich meinen Koffer einem besonders breitbeinig dasitzenden jungen Mann unabsichtlich ins Knie ramme. Dieser entrüstet sich
“Mensch, geben sie mal Acht!”.

Ich entschuldige mich hastig und verlasse so schnell es geht den Ort des Geschehens. Ich irre weiter durch den Zug bis ich erst nach einiger Zeit einen freien Sitzplatz finde, der auch nicht reserviert ist. Bevor ich mich erschöpft auf den Sitzplatz fallen lasse, verstaue ich meine Sieben Sachen in der Gepäckablage. Der Wagen ist etwas leerer als die anderen, dafür aber lauter. Familien fahren mit ihren Kindern wohl in den Urlaub und es wird gelacht, gespielt und im Gang hin und her gerannt. Dabei bleibt ein kleines Mädchen unvermittelt an meinem Platz stehen und kräht mir mit lauter Stimme “Sieben!” entgegen, bevor sie weiter ihren Spielkameraden lachend hinterherläuft.

Ich versuche es mir so gut es geht auf meinem Sitzplatz gemütlich zu machen. Ich ziehe die Jacke aus und rolle sie zu einem behelfsmäßigen Kopfkissen zusammen. Viel anderes als schlafen bleibt mir nicht übrig, denn mich erwarten sechs Stunden Fahrt und in meiner Eile habe ich vergessen mir eine passende Beschäftigung, wie ein Buch, einzupacken. Ich lehne an der Wand des Wagens und lausche dem monotonen Rattern des Zuges und betrachtete abwesend die Schrauben, die den Klapptisch am Sitz vor mir halten. Es sind sechs.

Während ich dasitze und meine Augenlider immer schwerer werden höre ich ein Flattern wie vom Schlagen vieler Flügel. Draußen vor dem Fenster wird es schlagartig dunkel, der Lärm im Zugwagen verstummt und auch der Zug scheint auf wundersame Art angehalten zu haben. Ich stehe auf, und schaue mich im Wagen um. Er ist Leer. Wo eben noch spielende Kinder waren, ist nun niemand. Ich gehe fünf Sitzreihen vor und versuche irgendjemanden zu finden, doch es ist niemand da. Der Wagen bleibt leer, geradezu klinisch rein. Plötzlich öffnen sich die Türen und fünf Raben fliegen laut krächzend herein und kreisen über meinem Kopf. Doch ihr krächzen ist sonderbar. Jedes einzelne klingt wie ein verzerrtes “Fünf!”

Ich versuche wegzurennen, doch meine Füße stecken fest. Ich bin mittlerweile bis zu meinen Knöcheln im Boden eingesunken und sinke rasch weiter ein. Schon stecke ich bis zu den Knien im Boden, da schaue ich auf zu den Raben, welche weiter hämisch krächzen. Sie kreisen zu viert über meinem Kopf, während der Fünfte in der Mitte des Kreises flattert und sich mit dem Schnabel vier Federn ausreißt und zu Boden fallen lässt. Doch noch bevor Sie den Boden erreichen verwandeln sie sich Spielkarten. Vier Pik-Asse liegen vor mir auf dem Boden, in welchen ich weiter einsinke. Ich bäume mich weiter auf, doch ich versinke weiter im Boden, Ich bin schon bis zur Brust eingesunken und habe Schwierigkeiten beim Atmen.

Ein Finger bohrt sich dreimal unsanft in meine Schulter. Ich schrecke hoch. Ich war eingeschlafen und hatte alles nur geträumt. “Zum dritten Mal: Die Fahrkarte bitte” sagt der Schaffner ungeduldig, welcher mit gezückter Stempelzange neben meinem Sitzplatz steht. Ich nestele in meinem Jackett nach der Fahrkarte und reiche sie ihm. Misstrauisch kontrolliert er sie und obwohl ich mir sicher bin, dass alles mit ihr in Ordnung ist, verspüre ich Erleichterung, als der Schaffner sie schließlich abstempelt.

Die restlichen zwei Stunden der Fahrt vergehen ereignislos, doch wage ich es nicht wieder einzuschlafen aus Angst vor weiteren Albträumen. Ich komme am Berliner Hauptbahnhof auf dem zweiten Gleis an. Ich steige aus mit meinem schweren Gepäck und gehe zum Ausgang. Während ich gehe, fühle ich mein Handy vibrieren. Ich halte an und schaue aufs Display. Zwei verpasste Anrufe. Beide von meiner Mutter. Mich überkommt Übelkeit, während ich ihre Nummer wähle. Mit zuckersüßer Stimme begrüßt sie mich am Telefon, doch ohne lange Umschweife kommt sie auf ihr eigentliches Begehr. “Hast du die beiden Pakete, um die ich dich gebeten habe?” fragt sie weiter mit zuckersüßer Stimme. Mutters Pakete. Dinge die sie bei mir deponiert, damit sie das Amt nicht mitbekommt. “Ich habe nur eines mit. Ich wusste nicht, dass ich beide mitbringen sollte.” Sage ich wahrheitsgemäß während ich den Bahnhof verlasse.

“Nie kannst du ein einziges Mal eine Sache richtig machen!” schreit mich meine Mutter aufgebracht vom anderen Ende der Telefonleitung an, während ich die Straße überquere, “Ich bitte dich nur im eine Sache und du musst es ja vergessen. Du hast deinen Kopf nur, damit es dir nicht in den Hals hineinregnet!” führt sie weiter aus. Es folgen weitere wüste Beschimpfungen, doch ich höre gar nicht mehr hin. Ein Kratzen innerhalb meines linken Ärmels lenkt mich plötzlich ab. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie eine einzelne Spielkarte aus meinem Ärmel fällt, zu Boden flattert und mit der Rückseite nach oben liegen bleibt. Abwesend bücke ich mich, hebe die Karte auf und drehe sie um. Ein einzelnes Symbol prangt mir entgegen. Es ist ein Pik-Ass. Ich nehme nur noch ein lautes Hupen wahr und ein Paar heller Scheinwerfer, die auf mich zurasen.

Null

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